Ende letzten Jahres hatte es sich ein namenloser Maulwurf zur Hauptaufgabe seines Daseins gemacht, unseren Vorgarten ein wenig umzugestalten. Wenig bei Maulwurf heißt: Mondlandschaft muss es schon werden. So mit Kratern, Gräben, Löchern, Gängen, Hügeln, Tälern und so. Der Maulwurf an sich ist ja ein sehr ruhiger Mitbewohner, der seine Arbeit lautlos erledigt. Bellt nicht und miaut auch nicht rollig mitten in der Nacht die Straßenlaterne an. Dafür ist er emsig. Täglich konnten die Fortschritte der Umbauarbeiten bestaunt werden, es ist fast unwirklich, wie schnell so ein kleiner Maulwurf arbeiten kann, wenn er konkret vor Augen hat, dass Unterstes nach oben muss und umgekehrt.
Eines Morgens waren auch Haufen auf der anderen Seite der Garageneinfahrt aufgetürmt und mich beschäftigte wochenlang die Frage, ob der Maulwurf sich dafür nun unter den Pflastersteinen durch gearbeitet oder sein behagliches Tunnelleben für einen kurzen Spaziergang obenrum unterbrochen hatte?
Freunde und Nachbarn gaben uns die abenteuerlichsten Ratschläge, was gegen diesen Umbauwahn zu unternehmen sei. In vielen spiegelten sich unterdrückte Gewaltphantasien wider und ließen mich doch sehr an der Grundgesinnung unserer fortschrittlichen Gesellschaft zweifeln. Schließlich will so ein Maulwurf ja auch nur seiner Arbeit nachgehen. Eine der schöneren Ideen war, leere Glasflaschen zur Hälfte in die Maulwurfshaufen hineinzustecken und somit eine Art unterirdisches Windspiel zu erzeugen. Da Maulwürfe nicht nur ruhig sind, sondern auch keinen Lärm mögen, soll der über die Flaschenöffnungen streichende Wind den Auszug das Gastes beschleunigen. Diese Variante klingt für mich schlüssig, scheiterte in der Ausführung allerdings an harten Tatsachen, oder haben Sie schon mal leere Glasflaschen in gefrorenen Boden gerammt? Davon, dass Flaschenhälse im Vorgarten auch optisch keine Verbesserung sind, will ich gar nicht anfangen.
Dann kam der Frühling und mit ihm nahm die Kubikmeterzahl der aufgeworfenen Erde von einem Tag auf den anderen ab. Erst glaubten wir an einen vorübergehenden Leistungseinbruch, ist ja schließlich keine Kleinigkeit, sich Woche für Woche durch steinharten nordhessischen Lehmboden zu graben. Doch Zählungen der Haufen ergaben, dass tatsächlich keine weiteren mehr hinzukamen. Der namenlose Maulwurf war einfach so verschwunden, es gab keinen Abschiedsbrief, nichts. Ein paar Tage lang gingen wir vom spontanen Ableben des Tunnelgräbers aus; Suizid schien unwahrscheinlich, da die phantasievolle Art seiner Gartengestaltung auf ein fröhliches Wesen schließen ließ. Aber dann entdeckten wir auf der nur zwei Straßen entfernten Kuhweide sich neu türmende Erdhaufen, die in ihrer Anordnung auf denselben Erbauer wie bei uns schließen ließen. Einfach mal Umziehen statt Ableben, es gibt auch Geschichten mit Happy End.
Im Vorgarten klopften wir die Haufen platt und nach dem nächsten Rasenmähen waren auch die Gräben unter der Grasnarbe wieder eingeebnet. Und das Abschiedsgeschenk kam dann im Verlauf des Sommers zum Vorschein: beim Umgraben der Beete hatte ich noch nie so weichen Boden und es waren auch noch nie so wenig Schnecken im Garten unterwegs.
Vielen Dank und mach’s gut, kleiner Maulwurf, wer immer du auch warst.
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